
SIE HABEN ODER KENNEN JEMANDEN DER MASSAGE VERSCHRIEBEN BEKOMMEN HAT?
Wir fassen auf dieser Seite alle wichtigsten Infos zusammen.
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INHALTSVERZEICHNIS
Lieber Kunde, Patient und/oder (Fach)Arzt,
wir möchten Ihnen auf dieser Seite einen Einblick in das Thema Massage und einigen Mythen die sich um das Thema ranken. Dabei erläutern wir die zugrunde liegende Problematik, unser therapeutisches Vorgehen und unsere Behandlungsmethoden. Grundlage hierfür sind wissenschaftliche Studien sowie unsere langjährige Erfahrung in der Praxis. Ziel ist es, dass Sie sich bereits im Vorfeld besser informieren können, offene Fragen geklärt werden und mögliche Unsicherheiten genommen werden.
WARUM WIR KEINE MASSAGE-VERORDNUNGEN MEHR ANNEHMEN
Für viele klingt es zunächst ungewohnt: Ein Physiotherapeut, der nicht massiert? Schließlich verbinden viele Menschen den Besuch beim Physiotherapeuten noch immer mit einer klassischen Massage. Dieses Bild entspricht jedoch einem veralteten Verständnis unseres Berufs. Die Physiotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten wissenschaftlich stark weiterentwickelt – und mit ihr auch unsere Arbeitsweise.
Was ist Massage eigentlich?
Massage zählt zu den ältesten Behandlungsformen in der Medizin. Sie wird häufig eingesetzt bei Rücken-, Nacken- oder Kopfschmerzen. Ihre Wirkung wird dabei oft mit Entspannung, Schmerzlinderung und Wohlbefinden in Verbindung gebracht.
Die aktuelle Forschung zeigt: Massage kann zwar ein angenehmes Gefühl vermitteln und kurzfristig von Beschwerden ablenken, führt jedoch nur selten zu nachhaltigen Verbesserungen von Schmerzen oder Funktionsstörungen. Ihr Effekt ist daher häufig eher auf Wahrnehmung und Stimmung zurückzuführen als auf strukturelle Veränderungen im Körper.
Warum wir keine Massagerezepte mehr annehmen
Da unser Ziel eine nachhaltige Verbesserung von Beschwerden und eine Steigerung der Belastbarkeit ist, setzen wir in unserer Praxis auf evidenzbasierte Methoden, die nachweislich langfristige Effekte haben. Massage erfüllt diese Kriterien nicht in ausreichendem Maße – deshalb nehmen wir keine Massagerezepte mehr an.
Aber: Massage hat trotzdem ihren Platz
Trotz dieser Einschränkungen kann Massage in bestimmten Fällen sinnvoll sein. Studien deuten darauf hin, dass sie positive Effekte auf die Stimmung, das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit haben kann. Besonders der emotionale Wert von Berührung spielt hierbei eine wichtige Rolle.
Was sagt die Wissenschaft
Massage ist mit einer Vielzahl von Mythen und schwachen wissenschaftlichen Belegen behaftet. Damit steht sie jedoch nicht allein: nahezu alle therapeutischen Leistungen am Bewegungsapparat werden heute zunehmend wissenschaftlich überprüft – und viele alte Annahmen müssen korrigiert werden.
Unser Ziel ist es, die häufigsten Mythen aufzuklären und die aktuelle wissenschaftliche Lage verständlich darzustellen. Doch bevor wir die Missverständnisse genauer betrachten, wollen wir auf die positiven Effekte eingehen, die durch eine Massage entstehen können.
Die Kraft der Berührung
Studien zeigen, dass körperliche Berührung neurologisch äußerst komplex ist und vielfältige physiologische Effekte haben kann. Die Haut ist dabei ein hochsensibles Organ: Sie verfügt über bis zu 10.000 Nervenenden pro Quadratzentimeter¹. Im Jahr 2009 identifizierten schwedische Wissenschaftler zudem spezialisierte Nervenfasern, die bereits auf sanfte, leichte Berührungen reagieren².
Dies verdeutlicht, dass Massage in erster Linie ein reiches sensorisches Erlebnis vermittelt. Ein möglicher Mechanismus für ihre Wirkung liegt daher in den neurologischen Effekten der Berührung, weniger im direkten „Verändern“ von Geweben.
Besonders interessant: Menschen mit chronischen Schmerzen erleben häufig eine sogenannte zentrale Sensibilisierung – das Nervensystem reagiert überempfindlich auf Reize. Angenehme, sichere Berührungen können hier helfen, das Schmerzempfinden zu modulieren und wieder in ein gesünderes Gleichgewicht zu bringen.
Die besten nachgewiesenen Vorteile der Massage: Weniger Depressionen und Angst
Während viele angebliche Wirkungen von Massage noch kontrovers diskutiert werden, gibt es zwei Effekte, die wissenschaftlich als belegt gelten. Der Massageforscher und Psychologe Dr. Christopher beschreibt, dass die gesichertsten Vorteile von Massage im Bereich der Stimmung liegen³:
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Massage kann Depressionen reduzieren
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Massage kann Angstzustände verringern
Ein wesentlicher Grund dafür ist die ausgeprägte Entspannungswirkung von Massage⁴. Diese wird zusätzlich durch Studien gestützt, die zeigen, dass Massagen den Blutdruck senken⁵ ⁶ und die Schlafqualität verbessern können.
Entspannung ist ein zentraler Faktor sowohl für das allgemeine Wohlbefinden als auch für ein erfolgreiches Schmerzmanagement.
Die vielen Mythen der Massage
Rund um das Thema Massage kursieren zahlreiche Behauptungen, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Hier die bekanntesten Mythen im Überblick:
„Viel Spannung = viel Schmerz“
Oft hört man Sätze wie „Dieser Muskel ist total hart“. Doch die gefühlte Gewebespannung korreliert kaum mit Schmerzen oder Symptomen. In Studien konnten Therapeuten nicht zuverlässig feststellen, welche Seite bei Patienten mit Rücken- oder Nackenschmerzen die betroffene war – nur anhand des Tastbefundes⁷.
„Massage fördert die Durchblutung“
Das stimmt so nicht⁸⁻¹¹. Selbst wenn Massage die Durchblutung leicht anregt, ist dieser Effekt verschwindend gering im Vergleich zu dem, was schon leichte Bewegung oder Sport bewirken.
„Massage spült Abfallstoffe oder Milchsäure aus den Muskeln“
Auch das ist ein Mythos¹². Massage entfernt keine Stoffe aus dem Körper. Im Gegenteil: sie erzeugt kurzfristig sogar einen leicht „toxischen“ Zustand – ähnlich wie beim Krafttraining. Deshalb fühlen sich manche nach einer Massage wie nach Muskelkater.
„Massage hilft gegen Muskelkater“
Ironisch, da Massage selbst Muskelkater auslösen kann. Einige Studien zeigen zwar leichte Verbesserungen der Symptome, aber wirklich beschleunigen lässt sich die Regeneration dadurch nicht¹³ ¹⁴.
„Massage wirkt entzündungshemmend“
Das Gegenteil ist wahrscheinlicher. Ein oft zitierter Gentest aus 2012 wurde falsch interpretiert und ist klinisch nicht relevant.
„Massage setzt Endorphine frei“
Endorphine wirken schmerzlindernd und euphorisierend – aber Massage steigert deren Spiegel im Blut nicht nachweislich¹⁵. Schmerzlinderung erfolgt über andere Mechanismen.
„Massage senkt den Cortisolspiegel“
Cortisol ist ein Stresshormon und gilt als „Bösewicht“. Doch die Studienlage dazu ist widersprüchlich und methodisch schwach¹⁷. Selbst wenn Massage Cortisol beeinflusst, ist Stressphysiologie viel zu komplex, um daraus eine einfache Wirkung abzuleiten.
„Massage verändert Gewebe (glätten, lösen, verlängern)“
Das sind Überbleibsel aus dem Strukturalismus – einer längst überholten biomechanischen Theorie. Eine große Übersichtsarbeit zeigt klar: Massage im strukturalistischen Stil funktioniert nicht¹⁸.
„Massage kann Triggerpunkte lösen“
Triggerpunkte sind ein umstrittenes Konzept. Therapeuten können sie nicht zuverlässig lokalisieren¹⁷, und ob sie überhaupt gezielt behandelbar sind, ist wissenschaftlich offen. Die Triggerpunktmassage bleibt damit experimentell.
FUNKTIONIERT DIE MASSAGETHERAPIE ALSO?
Wie bereits beschrieben, gibt es viele Missverständnisse rund um die Wirkung der Massage. Entscheidend ist die Frage: Wofür funktioniert Massage – und was können wir realistisch erwarten?
Aus wissenschaftlicher Sicht wissen wir: Massage kann die Stimmung verbessern und in manchen Fällen den Blutdruck senken. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf eine bescheidene, vorübergehende und wenig verlässliche Schmerzlinderung. Doch ist dieser Effekt stark genug, um die Therapie regelmäßig zu wiederholen – oder sie sogar als alleinige Behandlung einzusetzen?
Die klare Antwort: nein. In einer Gesellschaft, in der Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung, schlechter Schlaf, hoher Stress und geringe Belastbarkeit immer häufiger vorkommen, bietet Massage keine nachhaltige Lösung.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Liegt eine Massage-Verordnung vor, sind wir rechtlich und versicherungstechnisch verpflichtet, ausschließlich Massage anzuwenden. Damit entfällt für uns die Möglichkeit, andere – wissenschaftlich deutlich wirksamere – Methoden einzusetzen. Genau diese Einschränkung verhindert, dass wir Sie bestmöglich auf dem Weg zu Ihren Zielen begleiten können.
Bedeutet das, dass wir kaum noch massieren werden?
Nein, ganz sicher nicht. Massage hat durchaus ihren Platz – nur eben nicht als pauschale Standardlösung. Es gibt Situationen, in denen sie sinnvoll und nützlich sein kann. Entscheidend ist aber, dass wir als Therapeuten frei entscheiden, wann Massage wirklich Mehrwert bringt und wann andere Methoden deutlich wirksamer sind.
Darum möchten wir nicht verpflichtet sein, eine Massage mehrfach durchzuführen, obwohl wir wissen, dass es für Ihr konkretes Beschwerdebild bessere und nachhaltigere Behandlungsmöglichkeiten gibt. Unser Ziel ist es, stets die Methode einzusetzen, die für Sie am meisten Wirkung erzielt – und dazu gehört in manchen Fällen eben auch die Massage.
Was kannst Du tun?
Sprich mit deinem Arzt oder deiner Ärztin und frage, ob die Verordnung angepasst werden kann. Weise gerne darauf hin, dass wir keine Massage-Verordnungen annehmen und verweise ihn oder sie auf diesen Blog-Artikel. Sollte dein Arzt oder deine Ärztin damit nicht einverstanden sein, kannst du uns selbstverständlich jederzeit telefonisch oder per E-Mail kontaktieren – wir helfen dir gerne weiter.
QUELLENANGABE
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